Jakobsweg mit dem Fahrrad


Wie fanden wir zusammen?


Anläßlich einer Busreise in die Baltischen Staaten im Jahre 2003 lernten Michael Müller und Rudolf Braun sich gemeinsam mit ihren Frauen kennen. Mit dabei waren auch Michaels bester Freund Karl Wendt mit seiner Gattin. Nun muß man wissen, daß Karl bereits in den Jahren 1994 bis 1999 in sieben Zwei- bzw. Drei-Wochenetappen den Jakobsweg von Aachen nach Santiago de Compostela als Fußpilger gegangen war. Seit 2002 ist er nun auf dem „Silberweg“ von Sevilla in Spanien nach Santiago de Compostela unterwegs.


Im Verlaufe der Gespräche bekundete Rudolf sein Interesse, einmal den Pilgerweg zurückzulegen, zumal der offizielle deutsche Weg auch über die Straße
„Alt Breinig“ in Stolberg Richtung Aachen verläuft. In dieser Straße wohnt Rudolf und er hat hier und da schon einige Pilger an seinem Hause vorbei gehen sehen.


Mehr wurde bei der gemeinsamen Busreise nicht ausgetauscht. Michael und Rudolf trafen sich mit Ihren Frauen zufällig beim Aachener Weinfest 2003 wieder. Michael nahm Rudolf im Verlaufe dieses Treffens zur Seite und erkundigte sich, ob seine Absicht mit Santiago noch aktuell sei. Rudolf bejahte dies, und Michael betonte, dass auch er sich in der Zwischenzeit mit der Idee auseinandergesetzt habe und sich freue, wenn sie deswegen weiter in Verbindung bleiben würden.


Bei Michael war ein Jugendfreund aus gemeinsamen Tagen in der Pfarre St. Josef in Aachen, Philipp Goffart. Er hatte schon mehrmals längere Radtouren, insbesondere in Frankreich, unternommen. Er war an einer Teilnahme interessiert und bereit, mit uns konkretere Überlegungen anzustellen. Im Übrigen stand von Anfang an fest, die Pilgerreise mit dem Fahrrad durchzuführen.


Die Ehepaare Braun und Müller nutzten im Rahmen der Veranstaltung „Nacht der offenen Kirchen“ in Aachen die Gelegenheit, sich durch einen Vortrag in der Kirche St. Elisabeth über eine im Vorjahr durchgeführte Radwallfahrt infizieren zu lassen. Der Bericht war spannend und abwechslungsreich, unsere Absicht wurde weiter verstärkt.


Da keiner von uns gut französisch spricht, waren wir der Meinung, noch einen vierten Mitfahrer zu suchen, um einerseits die Parität herzustellen und andererseits sollte er mit seinen Kenntnissen unsere Französischdefizite ausgleichen. Mit Helmut Dirrichs konnte Philipp einen ehemaligen Kollegen, mit dem er bereits gemeinsame Radtouren gemeistert hatte, von der Idee begeistern und zum Mitmachen gewinnen.


So trafen sich die vier Männer


  • Michael Müller, 69 Jahre,

  • Pfilipp Goffart, 69 Jahre,

  • Helmut Dirrichs, 63 Jahre und

  • Rudolf Braun, 58 Jahre,


am 03.12.2003 zum erstenmal zu einem Vorgespräch.

Wir kannten uns teilweise gut, teilweise aber auch kaum oder gar nicht. Eines aber stand von Anfang an für uns vier fest: Wir wollen gemeinsam das Ziel Santiago de Compostela erreichen.


Bei diesem ersten Treffen wurden folgende Grundsätze für unsere weiteren Überlegungen festgelegt:


  • Wir wollen nach Santiago mit dem Fahrrad, Philipp und Michael mit Treckingrädern, Helmut mit dem Rennrad und Rudolf mit einem Mountainbike.

  • Zur Vermeidung von unausweichlichen Kollisionen mit den Fußpilgern werden wir, da der nicht geteerte Pilgerweg sehr schwierig und an manchen Stellen für Fahrräder unpassierbar sein soll, nach Möglichkeit verkehrsarme Landstraßen benutzen. Dazu wird Philipp entsprechendes Kartenmaterial beschaffen und eine Fahrtroute ausarbeiten.

  • Wir wählen als Richtschnur für unsere Routenplanung den klassischen Pilgerweg „Via Limosina“ über Vezelay als einem der bedeutungsvollsten französischen Durchgangsorte.

  • Für diese Planungen greifen wir auf die in Buchform erschienenen Schilderungen dreier Männer aus Herzogenrath sowie eines Ehepaares aus Köln/Brauweiler über ihre Radwallfahrten aus den Jahren 2002 und 1999 zurück.

  • Wie aber kommen wir von Santiago zurück? Mit der Eisenbahn wegen des Fahrradtransportes nur mit Bummelzügen, mit dem Flugzeug zwar möglich aber mit ca. 400,-- € nur für den Rückflug doch relativ teuer.

So wird die Idee geboren, einen Mietwagen mitzunehmen. Dafür sprechen folgende Überlegungen:

  1. der Rücktransport mit den vier Rädern auf dem Dach ist sichergestellt,

  2. wir brauchen unser Gepäck für die vier bis fünf Wochen nicht in Radtaschen zu packen und auf den Rädern mitzunehmen,

  3. wir wechseln uns alle vier Tage mit dem Fahren des Mietwagens ab und haben dadurch einen Tag „Radpause“ zur Erholung,

  4. der Autofahrer hat die Aufgabe, am festgelegten Etappenziel eine Unterkunft ausfindig zu machen,

  5. auf irgendwelche unterwegs auftretende schwierige Situationen kann man mit einem Auto im Bedarfsfalle schneller und unabhängiger reagieren.

Diese Entscheidung mit dem Mietwagen haben wir nicht einmal bereut, unsere Frauen sind sehr beruhigt, wir erheblich flexibler; diese Art des Wallfahrens kommt uns vieren aufgrund unseres Alters sehr entgegen.

Der Mietpreis von ca. 1.000,-- € für die fünf Wochen inkl.
5.000 km ist zudem günstiger als z. B. ein Rückflug.

  • Als tägliche Kilometerleistung werden durchschnittlich 80 km als Planungsgrundlage für gut befunden.

  • Der Pfarrer von St. Barbara, Breinig, stellt für die Beantragung der Pilgerausweise bei der Deutschen St. Jakobus - Gesellschaft in Aachen ein Empfehlungsschreiben aus. Am 14.02.2004 werden die Pässe ausgestellt.

  • Mit gemeinsamen Trainingsfahrten wollen wir nach den Osterfeiertagen Mitte April beginnen. Die Wallfahrt soll am 22.05.2004 starten.

  • Es werden verschiedene Aufgaben verteilt, die Mitnahme von Werkzeug, Zelt für den Notfall, Schlafsäcke u. a. wird abgeklärt.

  • Am 23.04.2004 treffen wir uns bei Philipp und führen mit dem Passat eines Nachbarn eine Probemontage der vier Fahrräder für den Mietwagen durch. Alles klappt.

  • Die Frage, ob wir damit einverstanden sind, wenn Helmuts Ehefrau Jenni und der Nachbar Monse in der ersten Woche mitfahren würden, wird positiv beantwortet.

  • Da nunmehr Quartier für sechs Personen benötigt wird, haben wir für die erste Woche entsprechende Hotels im vorhinein reserviert. So liegt die Tagesroute fest, es kann ohne Druck gefahren werden. Man kann sich langsam einrollen für die noch vor uns liegenden Herausforderungen.



Start, Freitag 21.05.2004, Beginn unserer Wallfahrt


Bei strömendem Regen geht es los. Rudolf holt von Breinig aus Philipp zu Hause mit dem Fahrrad ab und beide fahren dann zur Morgenmesse um 8:15 Uhr nach St. Jakob in Aachen. Michael und Helmut sind ebenfalls da. In sehr kleiner Runde findet diese Messe statt. Anschließend holen wir uns im Pfarrbüro den ersten Pilgerstempel für unser Pilgerbuch ab.


Nach der Messe fahren Helmut und Rudolf zur Firma Europcar in Stolberg und nehmen den Mietwagen in Empfang, der Radträger wird bei Philipp montiert und wegen des schlechten Wetters werden die Räder mit dem Auto zu Michael nach Eynatten transportiert.


Der weitere Tag ist ausgefüllt mit Überlegungen, wie: Haben wir an alles gedacht, nicht zuviel oder auch zu wenig Gepäck, und so weiter, und so fort. Schließlich sind Taschen und Rucksäcke wie auch Räder und Fahrerin und Fahrer vollzählig und abfahrbereit.







1. Etappe, Samstag, 22.05.2004, Aachen/Eynatten – Huy (B), 88 km


Gegen 8:30 Uhr treffen alle bei Michael ein, mehr oder weniger aufgeregt in Erwartung der vor uns liegenden Wochen. Marianne, Philipps Ehefrau, hat sich bereiterklärt, den Mietwagen am Tag der ersten Etappe zu fahren. Margret, Rudolfs Frau, sorgt mit ihrem PKW für den Rücktransport.


Begleitet werden wir vier Männer für eine Woche von Helmuts Frau Jenny und deren Nachbar Monse. Beide fügen sich ganz hervorragend in unsere Gemeinschaft ein und tragen sehr wesentlich in der ersten Woche mit dazu bei, daß wir uns aneinander gewöhnen und die durch die Vorbuchung der Hotels festliegenden Tagesetappen nicht zu lang werden. Wir können uns alle richtig schön „einrollen“.


Um 09:15 Uhr geht es mit den besten Wünschen der „besseren Hälften“ endlich los. Das Wetter ist trocken, es weht ein kräftiger frischer Wind. Unterwegs in Dolhain werden noch eine Batterie für den Radcomputer und eine neue Fahrradbrille gekauft, dann geht es unbeschwert und im Wesentlichen flach verlaufend durchs Wesertal
- mit einer Mittagspause in Verviers - über Chaudfontaine bis Angleur im Maastal bei Lüttich weiter.


Nun geht es auf gut ausgebauten Radwegen auf der rechten Maasseite talaufwärts bis Huy. Hier finden wir sofort unser Hotel und es dauert nicht lange, bis wir uns aufmachen, das kleine schmucke Städtchen mit der wunderschönen Kirche und dem einladenden Marktplatz zu besichtigen. Unsere beiden Begleiterinnen Marianne und Margret sind auch schon eingetroffen und am Abend essen wir gemeinsam in einem Restaurant am Marktplatz eine Pizza.


Nach der Abreise von Marianne und Margret und dem abendlichen Fahrstreckencheck für den nächsten Tag drehen wir noch eine Runde in der frischen Luft und haben uns dann auf unsere Zimmer zurückgezogen.


Ein gelungener Auftakt für unser gemeinsames Vorhaben.



2. Etappe, Sonntag, 23.05.2004 Huy (B) – Givet (F), 91km


Das sehr liebevoll zubereitete Frühstück wird genossen, leider ist das Wetter etwas trüb, und es heißt, die Regensachen in greifbarer Nähe zu halten. Kurz vor der Abfahrt vom Hotel, so gegen 09:30 Uhr, spricht uns ein Ehepaar, schwer bepackt mit Rucksack, Schlafsack u. a., an und fragt, ob wir nach Santiago de Compostella radeln würden. Sie hatten die an unseren Rädern angebrachten Jakobsmuscheln gesehen.

Wir bejahen und es stellt sich heraus, daß die Beiden vor acht Tagen von Eschweiler aus aufgebrochen sind und das Ziel zu Fuß erreichen möchten. Wir wünschen uns gegenseitig einen weiteren guten Weg, und dann beginnen wir unsere zweite Etappe.

Der Radweg geht weiter nur ganz geringfügig ansteigend das Maastal aufwärts, die Seite muß hin und wieder gewechselt werden. Ab Namur ist der Weg teilweise etwas holprig, teilweise geht es weiter über die Landstraße im Flußtal. Das Städtchen Dinant mit seiner monumentalen Kirche und der noch beeindruckenderen Festung auf dem waagerecht abfallenden Fels lädt zu einer ausgiebigeren Mittagspause ein. An der beeindruckenden Felsformation in Dave und am Schloss Freyr vorbei erreichen wir in Heer die französische Grenze. Die letzten Kilometer bis Givet sind nur noch ein Katzensprung, und das im Nachmittag sonnige Sonntagswetter macht es möglich, daß wir gegen 17:00 Uhr auf dem Marktplatz in Givet noch ein leckeres Bier trinken können. Hier erfährt Rudolf mittels SMS, daß Alemannia Aachen durch die Niederlage in Karlsruhe den Aufstieg in die Erste Bundesliga verpaßt hat.


Das von uns vorgebuchte Hotel ist sauber und ansprechend, unser Abendessen in einem Restaurant am Maasufer ausreichend und schmackhaft.



3. Etappe, Montag, 24.05.2004, Givet – Rethel, 93 km


Nach einem ausgezeichneten Frühstück am Buffet setzen wir gegen 09:20 Uhr unsere Fahrt das Maastal weiter aufwärts fort bis Revin. Jetzt müssen wir leider die Maas verlassen. Das bedeutet für uns, daß wir ca. 8 km ansteigend einer ersten Belastungsprobe ausgesetzt sind. Wir überstehen diesen Test bestens, aber ehe wir uns an die französische Beschilderung der Landstraßen gewöhnen, sind wir an unserer ursprünglich von Philipp erarbeiteten Streckenführung vorbei. Über eine Alternativroute geht es weiter durch hügeliges Gelände mit den für Frankreich typischen weiten Aussichten in die umliegenden Landschaften nach Rethel.


Gegen 16:00 Uhr erreichen wir das unmittelbar am Hauptbahnhof gelegene einfache, aber saubere Hotel. Bei einem Rundgang durch das kleine Städtchen stellen wir fest, daß montags in Frankreich die meisten Geschäfte und Restaurants geschlossen sind. In einer Brasserie bekommen wir ein sehr einfaches Essen und erfahren später zu unserem Leidwesen, daß die Küche unseres Hotels preiswertes und gutes Essen bietet.



4. Etappe, Dienstag, 25.05.2004, Rethel – Epernay, 82 km


Nach einem einfachen Frühstück machen wir uns gegen 09:30 Uhr auf in Richtung Reims. Durch die offene und weite Landschaft erkennen wir schon bald die Türme der berühmten Kathedrale, obwohl die Straßenschilder noch eine Entfernung von
ca. 15 km ausweisen.


Da sich in der Nähe ein Militärflughafen befindet, werden wir während unserer Fahrt Zeuge von vielen Starts, Landungen und sonstigen Luftübungen. Interessant, wenn denn dies nicht mit einem Höllenlärm verbunden wäre.


In Reims, Aachens Partnerstadt, fühlen wir uns wohl. Die Kathedrale und der Marktplatz interessieren uns sehr. Bei der Ausfahrt aus Reims kommen wir an einigen hochherrschaftlichen Gebäuden vorbei, die sich als Champagnerkellereien herausstellen. Einem Insiderhinweis entsprechend schauen wir im Vorbeigehen noch in die Klosterkirche St. Remi hinein. Dieses wuchtige Gebäude ist wunderschön, am meisten beeindruckt uns der Kronleuchter, der dem Barbarossaleuchter des Aachener Doms sehr ähnelt.


Sodann setzen wir unsere Fahrt in Richtung Etappenziel Epernay fort. Bei einer aufmunternden Zwischenrast mit einem Glas Weiswein treffen wir einen Radpilger aus Köln. Er ist in der dritten Woche für sich ganz allein unterwegs und etwas traurig, daß seine Tagesleistung nur bei durchschnittlich ca. 50 km liegt. Wir erklären ihm unser Verfahren mit dem Leihwagen und er ist begeistert. Er wird den Pilgerweg wegen anderer Verpflichtungen in den nächsten Tagen für einige Wochen unterbrechen und hofft dann, einen Freund zu überzeugen, ihn mit dem Pkw zu begleiten. Wir verabreden für den Abend ein Treffen in unserem Hotel, da er sehr an unserer Routenplanung interessiert ist. Das Treffen findet leider nicht statt, aber vor der Abfahrt am anderen Morgen steht er vor unserem Hotel. Wir tauschen die Informationen aus und wünschen uns gegenseitig einen guten weiteren Pilgerweg.


Epernay ist eine schöne und lebendige Stadt mit mehreren alten Plätzen und Kirchen Für unser Abendessen finden wir im Restaurant La Cloche am Place Mendes France eine sehr schöne Umgebung mit einem auch vom Preis her ansprechenden Menü.



5. Etappe, Mittwoch, 26.05.2004, Epernay – Troyes, 105 km


Nach unserem morgendlichen Treffen mit dem Kölner Pilger setzen wir uns gegen 09:30 Uhr in Bewegung. Heute liegt eine etwas längere Fahrstrecke von ca. 100 km vor uns. Am Anfang haben wir auf der D 9 sehr heftigen Straßenverkehr, im späteren Verlauf wechseln wir auf kleinere Straßen, und schlagartig wird es ruhiger.


Nach einer sehr abwechslungsreichen Fahrt durch unterschiedliche Landschaften erreichen wir gegen 16:30 Uhr unser Hotel in der Nähe des Bahnhofs. Nach einem kurzen Durchschnaufen und Frischmachen ziehen wir los, das mittelalterliche Zentrum mit den wunderschönen Fachwerkhäusern und den wuchtigen Kirchen zu erkunden. In den engen und krummen Gassen stellen wir fest, daß viele Häuser schon renoviert wurden bzw. z. Zt. renoviert werden. Aber es gibt noch unwahrscheinlich viel zu tun.


Unser heutiges Abendessen nehmen wir in einem nahe am Bahnhof gelegenen Restaurant ein. Für 13,-- € kann man sich an einem sehr reichhaltigen Büffet bedienen, vom Fisch über Fleisch bis hin zu Salaten und Nachtisch. Eine wahre Wonne, wir haben sicherlich mehr gegessen als wir bezahlt haben.



6. Etappe, Donnerstag, 27.05.2004, Troyes – Vezelay, 133 km


Nach einem guten Frühstück geht es gegen ca. 09:45 Uhr los, nachdem an den Rädern von Michael und Monse kleinere Reparaturen durchgeführt wurden. Uns steht die evtl. längste Tagesetappe der gesamten Radtour mit einer Länge von ca. 130 km bevor. Aber guten Mutes starten wir, und es geht durch eine wunderschöne Landschaft mit moderaten Anstiegen und geringem Straßenverkehr zügig voran. Bei dem tollen Wetter mit überwiegend leichtem Seiten- bzw. Rückenwind laufen die Räder gut.


Leider sorgt Rudolf für ein erstes, hoffentlich aber auch letztes Negativ­erlebnis. Er fährt zu nah an das Hinterrad seines Vordermannes Michael heran, touchiert es, verliert das Gleichgewicht und fliegt in hohem Bogen auf die Straße. Er schlägt sich das linke Knie auf, die Schürfwunde blutet, aber es sieht Gott sei Dank schlimmer aus als es tatsächlich ist. Nach einer kurzen Behandlung mit Säubern, Mull und Pflaster können wir weiterfahren.


Nach ¾ unserer heutigen Strecke erreichen wir den weltberühmten Weinort Chablis. Hier können wir einfach nicht ohne Anzuhalten durchfahren. Wir trinken ein Gläschen des berühmten Weines. Alle stellen übereinstimmend fest, schon sehr oft erheblich besseren und schmackhafteren Wein getrunken zu haben. Aber der Name macht’s halt.


Es dauert nicht mehr lange, da können wir die hoch auf einem Berg vor uns liegende Basilika von Vezelay sehen. Wir nähern uns mit Macht einem in der Pilgergeschichte seit Jahrhunderten bedeutungsvollen Ort. Hier beginnt der „Via Limosina“, einer der wichtigsten Pilgerwege des Mittelalters nach Santiago de Compostela.


Aber noch haben wir es nicht geschafft, der heutige Tag endet mit einem ca. 4 km langen und zum Schluss sehr heftigen Anstieg bis zum Ort. Michael und Rudolf ziehen den Anstieg sogar noch durch bis zum Eingangsportal der an der höchsten Stelle des Ortes liegenden Basilika. Ganz happy sind die beiden, als sie feststellen, daß gerade die Abendmesse stattfindet. Es sind viele Besucher in der Kirche, die vielen Mönche und Nonnen schaffen mit Ihren Gesängen einen beeindruckenden Rahmen.


Als die beiden nach der Messe auch noch an der Klosterpforte den Pilgerstempel entgegennehmen können, ist dieser Tag rundum zufriedenstellend verlaufen.


Beim Gang zum Hotel fällt uns erstmals die jetzt größere Anzahl der sich in Vezelay befindlichen Pilger auf. Der Ort, selbstverständlich auch von Touristen überlaufen, hat sich ganz auf die Pilger eingestellt. Hier sehen wir die erste Pilgerherberge. Auf der Straße zur Basilika werden mit dem Verkauf der Pilgerstäbe,
und -muscheln und Kalebassen muntere Geschäfte gemacht.


Gemeinsam machen wir noch einen Rundgang durch den Ort, genießen den wunderschönen Panoramablick in die Ferne und finden dann im oberen Teil der Hauptstraße ein ganz uriges Lokal, in dem wir sehr freundlich und aufmerksam mit einem schmackhaften und preislich vertretbaren Essen bedient werden. Wir fallen an diesem Tag todmüde in die Betten und sind stolz, mit Vezelay ein erstes sehr wichtiges Ziel auf unserer Pilgerfahrt erreicht zu haben.



7. Etappe, Freitag, 28.05.2004, Vezelay – Nevers, 87 km


Nach einem ausreichenden Frühstück schauen wir uns alle gemeinsam nochmals den Ort an. Wir besichtigen die Basilika, die größte Klosterkirche Frankreichs, mit der Krypta und den Reliquien der Hl. Maria Magdalena. Nun kommen auch schon die ersten Tagestouristen, und wir sind froh, als wir uns gegen 10:30 Uhr auf die Räder setzen und die nächste Etappe beginnen und somit dem in Vezelay aufkommenden Rummel entgehen können. Den Weg weist uns auch ein Pilgerzeichen vor Tanny.


Zunächst geht es über ca. 50 km durch sehr wellige und hügelige Landschaft. Den steileren Abfahrten folgen, wie kann es anders sein, wieder die steileren Anstiege. Erst die letzten 20 km zum Tal der Loire hin wird es flacher, und bei guter Laune erreichen wir gegen 16:45 Uhr unser Hotel in Nevers.


Ein Rundgang durch die Altstadt und die Besichtigung der Kathedrale sowie ein gemütliches Pizzaessen mit dem Blick auf einen Stadtlauf in der Innenstadt beenden einen anstrengenden aber schönen Tag.

Zwischenzeitlich sind die Ehefrau und die Tochter von Monse eingetroffen, um diesen und auch Jenny nach Hause abzuholen. Jetzt merken wir, daß wir schon eine Woche unterwegs sind. Die Tage und die schon zurückgelegten 679 km sind wie im Flug vergangen, wir haben in Jenny und Monse tatkräftige Unterstützung gehabt und sind alle ein wenig traurig, als wir am nächsten Morgen voneinander Abschied nehmen müssen.



8. Etappe, Samstag, 29.05.2004, Nevers – Loye-sur-Arnon, 93 km


Bevor wir die Stadt Nevers verlassen, leisten wir uns einen kleinen Abstecher zur Grabstätte der Hl. Bernadette in einem Kloster (Chassee d. Bernadette) in der Nähe des Hauptbahnhofs. Als junges Mädchen erschien ihr die Mutter Gottes in Lourdes mehrfach, die heilige Bernadette ging später in dieses Kloster in Nevers, starb dort und ist dort aufgebahrt.


Ohne Einbalsamierung ist die Leiche der Heiligen Bernadette in einem Glasschrein zu betrachten. Auf dem Klosterhof befindet sich eine beeindruckende Nachbildung der Lourdesgrotte.


Frohgelaunt setzen wir nun unsere Fahrt über die D 40 fort. Wir suchen etwas, bis wir die richtige Strecke endlich finden. Da an diesem Pfingstsamstag auf der D 951 kaum Verkehr ist, müssen wir die von uns vorsorglich ausgesuchte Alternativroute über kleinere Straßen nicht in Anspruch nehmen. Bei schönem Wetter rollen wir mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von ca. 21 km/h unserem Ziel entgegen.


Erstmals muß unser Mietwagenfahrer Helmut heute ein Hotel in einem am Vortag festgelegten Zielgebiet finden. Helmut ist ganz aufgeregt, kommt uns mit dem Wagen wieder entgegen und teilt uns mit, daß er kein Hotel oder sonstige Unterkunft finden kann. Er sei auch einem Hinweis auf eine Pilgerherberge nachgefahren, habe dort aber niemanden angetroffen. Wir schicken Helmut zur weiteren Suche wieder voraus.

Bald taucht das Hinweisschild zu der Pilgerherberge vor uns auf, und Michael und Rudolf wagen einen Versuch, dort doch noch jemanden anzutreffen. Der Versuch ist erfolgreich und auf Englisch gelingt es uns, bei der sehr freundlichen und hilfsbereiten Annie zwei ganz hervorragend renovierte Privatzimmer zu mieten. Die Pilgerherberge mit vier Betten ist bereits mit zwei Pilgern belegt, wir als KFZ- bzw. Radpilger werden auf die Privatzimmer verwiesen. Nebenbei bemerkt hat Annie unser „Credencial“ mit einem handgefertigten Pilgerstempel bereichert.


Später kommen noch Ihr Mann Paul und der Sohn Francois hinzu. Auch sie sind uns rundum behilflich, reservieren uns das Essen im Dorfrestaurant, das Hotel für den kommenden Tag und erkundigen sich nach der Uhrzeit für einen Gottesdienst auf der von uns vorgesehenen Route für den nächsten Tag.


Im Restaurant in dem kleinen Ort lassen wir bei einem sehr guten und leckeren Essen sowie einem angenehmen Glas Wein den Tag etwas feuchter als an anderen Tagen ausklingen. Wir denken an das in Berlin stattfindende Pokalendspiel zwischen Werder Bremen und Alemannia Aachen und erfahren über SMS von Margret auf dem Heimweg, daß die Aachener leider 3 : 2 verloren haben. Diese Niederlage kann unsere Stimmung nicht trüben, die Alemannia kann stolz auf die so erfolgreich verlaufene Saison sein.



9. Etappe, Sonntag, 30.05.2004, Loye-sur-Arnon – La Souterraine, 103 km


Nach einem gemeinsamen Frühstück mit unserer Gastgeberfamilie, einigen Erinnerungsfotos und einer sehr herzlichen Verabschiedung schwingen wir uns gegen 09:15 Uhr auf die Räder, da wir uns vorgenommen haben, am heutigen Pfingstsonntag in dem ca. 35 km vor uns liegenden Ort la Chatre um 11:00 Uhr die Messe zu besuchen.


Es bedarf einer intensiven Anstrengung, da wir zwar wegen des Feiertages relativ wenig Verkehr haben, das schwierige Gelände mit seinen vielen kurzen Anstiegen und den folgenden Abfahrten viel Kraft verlangt. Aber wir schaffen es, die Messe hat gerade erst angefangen. Wir verstehen zwar kein Wort, aber eine Pfingstmesse in Frankreich ist doch schon etwas Besonderes. Etwas enttäuscht sind wir, daß wir nach der Messe keinen Pilgerstempel bekommen.


Nach einer Pause in einem belebten Wettlokal gegenüber der Kirche geht es weiter, die Landschaft wechselt und es folgen nunmehr längere An- bzw. Abstiege. Auch das Wetter verändert sich. Im Nachmittag beginnt es zu regnen und teilweise setzt heftiger Gegenwind ein. Zum Glück ist es dabei aber warm.


Das von unseren Herbergseltern in unserem Auftrag reservierte Hotel stellt sich leider als nicht zufriedenstellend heraus. Die Zimmer sind eng und dunkel, leider gibt es im Ort keine Möglichkeit ein gutes Abendessen einzunehmen und das Essen im Hotel ist sein Geld nicht wert. Aber dennoch schlafen wir gut und denken, daß wir bisher mit den Übernachtungen sehr gut zurechtgekommen sind.



10. Etappe, Montag, 31.05.2004, La Souterraine – Rochechouart, 88 km


Heute haben wir einen sehr anstrengenden Tag. Die Entfernung ist es nicht, was uns zu schaffen macht, es ist das Wetter. Den ganzen Tag über herrscht starker Regen gepaart mit einem unangenehmen starken Gegenwind. Die Fahrstrecke ist wellig. Wir lernen zum ersten Mal schätzen, was wir in der ersten Woche für ein großes Glück mit dem herrlichen Sommerwetter hatten.


Über den Verlauf des heutigen Tages gibt es nicht viel zu berichten bis auf die Tatsache, daß auch das heutige Hotel nicht weiter empfehlenswert ist. Sowohl vom Zustand der Zimmer als auch über die fehlende Freundlichkeit der „Gastgeber“, sind wir sehr enttäuscht. Ein Blick von Helmut in die Tiefkühltruhe führt zur einmütigen Entscheidung, in jedem Fall nicht in diesem „Hotel“ zu essen.


Leider müssen wir bei einem Rundgang feststellen, dass es im ganzen Ort keine weitere Essensmöglichkeit gibt. Jetzt fällt es uns ein, in Frankreich ist montags ja Ruhetag. Wir setzen uns zum erstenmal gemeinsam in unseren Mietwagen und fahren ca. 15 km in den nächst größerem Ort St. Junien, um dort eine Pizzeria zu stürmen. Dort ist es brechend voll, aber wir werden ganz hervorragend bedient.



11. Etappe, Dienstag, 01.06.2004, Rochechuart – La Rigeardie, 80 km


Wenigstens die beim Frühstück freundliche und fröhliche Bedienung verbessert unsere Meinung bezüglich des Hotels etwas.


Ein Blick nach draußen, und wir müssen leider feststellen, daß das Wetter sich nicht gebessert hat. Den ganzen Tag über wechseln sich heftige Schauern und Nieselregen ständig ab, auf die Regenkleidung können wir nicht verzichten.


Das Städtchen Brantomé genießen wir sehr. Die Kathedrale ist sehenswert, in der Touristinformation erhalten wir einen schönen Pilgerstempel, auf dem kleinen Marktplatz sind die Restaurants sehr belebt. Wir können mit dem Fahrrad über die Rue Charlemagne, da schlägt das Herz der Öcher höher, den Ort wieder verlassen. Unsere Fahrt geht weiter durch das malerische Tal der Dronne, ein Fremdenverkehrszentrum für Kajak- und sonstige Wildwasserfahrer.


Michael, unser heutiger Fahrer und Hotelsucher, dem Philip schriftliche Anweisungen mitgibt, wie die Verständigung zwischen der radelnden Gruppe und dem Pkw-Fahrer zu erfolgen hat, teilt uns per SMS mit, dass er nach den Enttäuschungen der beiden vorherigen Tage heute ein kleines Schmuckkästchen für unsere Übernachtung gefunden habe. Er hat – dass muss man rückblickend sagen – nicht übertrieben. Es handelt sich um eine Pension in einem wunderschön renovierten ehemaligen Bauernhof, die mit großer Liebe hergerichtet wurde und bewirtschaftet wird.


Nachdem wir unsere Räder im ehemaligen Stall untergestellt haben, geben wir unsere nassen Sachen unserem Pensionswirt, der schmeißt sie sofort in die Waschmaschine, und am anderen Morgen ist alles wieder trocken und sauber. Das ist für ihn eine Selbstverständlichkeit, sagt er.


Er bietet uns für den Abend ein Vier-Gang Menü einschließlich Aperitif, Wein, Cafe und Digestif, von ihm persönlich zubereitet, an.


Wir sagen gerne zu und sind heute noch begeistert über diesen wunderschönen Abend. Gemeinsam mit drei französischen und einem belgischen Paar essen und trinken wir uns kugelrund und haben unheimlich viel Spaß. Sprach-Probleme gibt es keine. Für die am Essen teilnehmenden „Nichtpilger“ ist es unvorstellbar, wie Männer wie wir eine solche Fahrt auf uns nehmen können.


An dieser Stelle möchten wir unsere Leser mitessen lassen:



La Carte:

Gurkensuppe mit Croutons und Speckwürfel

Ente gedünstet mit Kartoffelgratin und Pilzen

Käse

Erdbeeren mit Vanillecreme

ausreichend Wein

Kaffee

Schnaps



Trotz des üblen Wetters, ein wahrlich gelungener Tag mit toller Atmosphäre.



12. Etappe, Mittwoch, 02.06.2004, La Rigeardie – La Reole, 130 km


So vielseitig wie das Abendessen ist auch unser morgendliches Frühstück. Auf Anraten unseres Pensionswirtes ändern wir unsere beabsichtigte Route und wählen die flachere und besser ausgebaute Strecke über Riberac nach Mussidan. Nach herzlicher Verabschiedung setzen wir uns bei trockenem, aber bewölkten Wetter auf die Räder und schicken heute Philipp mit dem Mietwagen voraus mit der Aufgabe, zwischen St. Foy la Grande und Monsegur eine Übernachtung zu finden.


Im späteren Vormittag reißt die Wolkendecke auf und die Sonne lässt sich immer öfter sehen. Zunächst ist die Strecke bis Mussidan flach, ab dann wird sie etwas hügeliger und welliger. Die Wetterbesserung wie auch die Tatsache, daß wir die 1.000 km erreichen, heben unsere Stimmung enorm.


In St. Foy la Grande erwartet uns Philipp mit der Nachricht, daß er trotz intensiver Suche leider keine Übernachtungsmöglichkeit gefunden habe. Wir überlegen und einigen uns darauf, den nächst größeren Ort La Reole anzusteuern.


Im gesamten Ort ist kein Hotel vorhanden. Im Tourismusbüro erkennt man jedoch unsere Muschel am Fahrrad. Für diese Gäste verfügt man über einige Privatanschriften.


Nach einigen Telefonaten ist eine alte Dame bereit, den vier männlichen Pilgern in ihrem Haus Unterkunft zu gewähren. Wir werden auf die leerstehenden Kinderzimmer verteilt, eine Dusche steht uns zur Verfügung, eine Tochter bereitet Salat zu, die andere Tochter muß noch Käse kaufen gehen, die alte Dame sitzt strickend im Sessel und läßt sich beim Fernsehen nicht stören.


Auf einmal werden Helmut und Philipp von Ihr in die Küche abkommandiert, um die für uns vorgesehenen insgesamt zwei Koteletts und zwei Frikadellen zu braten. Michael und Rudolf lassen sich von unseren Köchen hervorragend bedienen, ein roter Hauswein darf auch nicht fehlen. Nach dem Essen spülen wir gemeinsam und säubern die Kücheneinrichtung wieder vernünftig.

Ein Rundgang durch das kleinere Städtchen zeigt uns, in welcher Armut und Einsamkeit viele Menschen hier leben. Es ist eigentlich nichts Positives und Freundliches zu erkennen, die Geschäfte nicht beleuchtet, die Straßen triste und leer, Restaurants nicht vorhanden, lediglich in einer einsamen kleinen Bar haben wir Gelegenheit, noch einen Schlummertrunk zu uns zu nehmen.


Wir fanden sehr schnell den Weg zu unseren „Kinderzimmern“ zurück.



13. Etappe, Donnerstag, 03.06.2004, La Reole – Tartas, 130 km


Nach einem gemeinsamen Frühstück mit der uns im Bademantel bewirtenden Hausherrin, dem Wegspülen des Frühstücksgedecks und einem Erinnerungsfoto machen wir uns gegen 09:15 Uhr auf den Weg. Aus la Reole heraus ist die Straße die ersten 10 km sehr verkehrsreich.

Als wir dann eine Autobahnauffahrt passieren, wird der Straßenverkehr schlagartig weniger. Nun können wir bei wieder schönem Wetter und für uns günstigen Windverhältnissen die Landschaft genießen. Die gut geteerten und flachen Sträßchen führen uns überwiegend durch Wald- und Heidegebiete. Ca. 15 km vor Tartas wird es wieder etwas hügeliger.


Wir fahren einen zügigen Reifen, machten unsere obligatorischen Pausen mit Baguette und Tomaten und erfreuen uns im Übrigen an den sehr angenehm ins Auge fallenden kleinen Örtchen mit liebevoll gepflegten blumenreichen Gärten und Häusern. Gegenüber dem Vortag ist dies eine wohltuende Verbesserung.


Philipp hat ein gutes Gespür und findet in Tartas ein einfaches, aber sauberes Hotel mit einem WC und Badezimmer für die ganze Etage. Nach einem erfrischenden Bier nach den zurückgelegten 130 km dann die übliche Prozedur mit Duschen, Umziehen, Standortdurchgabe u.s.w.


Zunächst lassen wir uns von den freundlichen Vermietern zu einem sehr leckeren und ausreichenden Vier-Gang-Menue verführen. Dieses beginnt mit einer tollen Ministrone „Quer durch den Gartensuppe“, einem Salat, sodann einem ½ Hähnchen und anschließend einer leckeren Mokkacreme.


Danach bei dem schönen Wetter noch unsere obligatorische Runde durch den Ort. Schon die ersten Eindrücke lassen sehr viel Positives erkennen. Der Uferbereich am Fluß Midonze ist mit Grünanlagen, Parkplätzen, Kinderspielplatz hergerichtet, ein neues Ortszentrum mit Markthalle befindet sich kurz vor der Vollendung. Die gewaltige Kirche präsentiert sich in einem guten baulichen Zustand. Diese Aktivitäten haben auch viele Bürger animiert, an ihren Häusern entsprechende Verbesserungen und Renovierungen vorzunehmen. Mit den vielen Blumen ergibt sich ein sehr positiver Gesamteindruck.


Zurück in unserem Hotel wird bei einem Bier die morgendliche Strecke besprochen und festgelegt. Überraschend stellen wir auf einmal fest, daß wir bald die spanische Grenze erreichen.


Wir lesen im Buch unserer Herzogenrather Freunde nach und stellen fest, daß am kommenden Tag eine schwere Strecke mit drei Anstiegen bis zu 20 % vor uns liegt. Daher erhält unser Pkw-Fahrer den Auftrag, nach ca. 75 km in St. Palais nach Zimmern zu suchen.


Die Spannung, nun bald den großen „Camino“ auf spanischer Seite zu erreichen, wächst nunmehr sprunghaft bei uns allen. Die Überlegung, wir könnten schon bald in einer Woche in Santiago eintreffen, schreckt Philipp auf, und nur an Hand des Kalenders können wir ihm beweisen, dass wir rund eine Woche vor unserem ursprünglichen Zeitplan liegen.


Wir beschließen, das Thema für die Zeit bis Pamplona zu ignorieren.



14. Etappe, Freitag, 04.06.2004, Tartas – St. Palais, 74 km


Bei ausgezeichnetem Wetter, Sonnenschein und wenig Wind, begeben wir uns auf die vor uns liegende schwierige Etappe. Zunächst geht es über viele kleine geteerte Feldstraßen immer wieder bergab und bergauf, es wird hügeliger. An den zweisprachigen Orts- und Hinweisschildern merken wir, daß wir uns im östlichen Teil des Baskenlandes befinden. Ab der Ortschaft Puyoo geht es mit den Steigungen richtig los. Die Aufstiege zu den Ortschaften Salles-de-Bearn, Sauveterre-de Berarn und hinauf nach St. Palais haben es in sich. Zwar tun die dazwischen liegenden Abfahrten immer wieder gut, bei entsprechender Einteilung der Kräfte sind diese Schwierigkeiten aber im Großen und Ganzen gut zu meistern.



Nach Erreichen unseres Hotels in St. Palais so gegen ca. 15:00 Uhr sind wir sogar der Meinung, daß man diese Tagesetappe hätte noch um rund 20 km verlängern können, wenn denn dann Übernachtungsmöglichkeiten gefunden werden könnten. So genießen wir diesen frühen „Feierabend“ und machen einen ausgiebigen Bummel durch dieses kleine Städtchen. Hier sehen wir zum erstenmal ein großes Schild mit dem Hinweis „Chemin de ST JACQUES“, ab hier ist der Camino bis Santiago de Compostela durchgehend gekennzeichnet. Am Ortsende, wo der Pilgerweg rechts ab in Richtung „Stele Gibraltar“ abbiegt, steht ein Kloster, welchem auch eine Pilgerherberge angeschlossen ist. Wir werden an der Klosterpforte sehr freundlich empfangen und unser Wunsch nach einem Pilgerstempel wird sofort erfüllt. Die kleine Klosterkirche lädt uns zu einigen Minuten der Ruhe ein.


Nach einem guten Abendessen in dem am Freitagabend einzig offenen Restaurant an dem sehr schönen Marktplatz fallen wir in die Betten und freuen uns schon auf den morgigen Tag. Er bringt die Vereinigung der verschiedenen klassischen Pilgerwege, die Überschreitung der spanischen Grenze und die Bewältigung der ersten Pyrenäenpässe.



15. Etappe, Samstag, 05.06.2004, St. Palais – Larrasoana, 94 km


Gut geschlafen, bestes Wetter, ausreichendes Frühstück. Um 09:15 Uhr starten wir durch.


Am Kloster biegen wir rechts ab zur Stele Gibraltar. Der Weg ist gut ausgeschildert aber relativ steil und nicht geteert.


Wir finden diesen historischen Punkt auf Anhieb. Am „Stein von Gibraltar“ treffen die von Tours, Vezelay und Le Puy kommenden uralten Pilgerwege zusammen, und wir können nun erstmals von dieser Höhe aus den langersehnten Camino über eine weite Hochebene verfolgen. Wir sind überrascht, wie viele Menschen auf ihm unterwegs sind.


Trotz großer Verlockung, jetzt den Pilgerweg zu benutzen, bleiben wir unserem Grundsatz treu und nehmen nicht den Kampf mit den Fußpilgern auf. Wir fahren die zunächst schmale Straße bergab und folgen dann den Schildern Richtung St. Pied de Port. Dieser Ort ist für sehr viele Pilger ein wichtiger Ausgangspunkt für ihre Wallfahrt nach Santiago. Von Touristen leider überlaufen und im Übermaß mit Tourismusgeschäften übersät, finden wir auf Anhieb die Meldestelle für die Pilger. Hier kann man auch einen Pilgerpass erhalten und sodann mittels der unterwegs eingeholten Pilgerstempel in Santiago die zurückgelegte Pilgerstrecke nachweisen. Wir haben den Pilgerpass schon in Aachen ausgestellt bekommen, erhalten jedoch einen schönen Stempel und füllen auch noch zur Verbesserung der Statistik einen entsprechenden Meldebogen aus.


Dann sind wir auch schon froh, diesen überlaufenen Ort wieder verlassen zu dürfen. Wir folgen der Nationalstraße, die aber an diesem Samstag sehr verkehrsarm ist. Die häufiger werdenden Steigungen verraten uns, dass wir uns nicht weit vom ersten Pyrenäenpass befinden. Bei Arneguy erreichen wir die spanische Grenze, dann geht es bei großer Hitze 14 km bergauf zum Ibaneta- Pass (1.057 m).


Wir können es nicht glauben, daß in den drei von uns gelesenen Büchern der Ibaneta – Pass ausschließlich nur im Nebel passiert werden konnte. Wir haben strahlenden Sonnenschein und große Hitze und möchten daher den Rat geben, diesen Pass entweder in den Morgen- oder aber in den späteren Nachmittagsstunden in Angriff zu nehmen. Voller Stolz über unsere gute Leistung geht es nach einer ausgiebigen Verschnaufpause über Roncesvalles mit dem wohl ältesten Pilgerkreuz des Camino und über einige kleinere Hügel dann zu den nachfolgenden Pässen Alto de Mezquiriz (960 m) und Alto Erro (801 m). Diese fordern von uns nochmals viel Kraft.


Immer wieder treffen wir auf den zu unserer Straße fast parallel verlaufenden Pilgerweg. Der Pilgergruß „Bon Camino“ wandert hin und her, wir kommen aus dem Staunen nicht heraus, wie viele Menschen zu Fuß, mit Pferd bzw. Esel und mit Mountainbikes unterwegs sind.


Michael teilt uns per SMS die Adresse des von ihm ausfindig gemachten Hotels „Akerreta“ mit. Wir sind mit dem Fahrrad so schnell, daß wir fast am Ort vorbeigefahren wären. Aber rechtzeitiges Fragen erspart uns einen Umweg, nicht jedoch noch eine steile, holprige Anfahrt zu dem direkt am Camino liegenden Hotel.


Michael scheint ein Näschen für historische und hervorragend restaurierte Herbergen zu haben. Hier treffen wir auf ein Kleinod, welches von einem jungen Ehepaar in einem Zeitraum von viereinhalb Jahren mit großer Liebe und vielem Schweiß bewundernswert restauriert und erst vor ca. einem Monat eröffnet wurde.

Hier schlägt uns herzliche Offenheit entgegen, erstmals übernachten wir auch mit Fußpilgern. Unser Blick über die Felder und in die Berge der Pyrenäen ist traumhaft, fast wie in den Alpen oder im Schwarzwald.


Wir machen große Wäsche, die Sachen trocknen in der untergehenden Sonne. Für 12,-- € erhalten wir ein sehr schmackhaftes und umfangreiches Menü bestehend aus einem sehr schönen Salatteller, Spaghetti und einem leckeren Eis. Der Hauswein schmeckt uns – wie fast immer – sehr gut.



16. Etappe, Sonntag, 06.06.2004, Larrosoana – Los Arcos, 86 km


Nach diesem positiven Erlebnis und dem guten Frühstück fällt der Abschied etwas schwerer als normal, und wir wünschen unseren jungen freundlichen und wagemutigen Herbergsleuten für die Zukunft alles Gute. Dem Fluß Arga folgend geht es ohne große Anstrengung nach Pamplona. Unterwegs sehen wir eine romanische Brücke über den Nebenfluß Arra in Villava, dann beginnt auch schon bald die Einfahrt über die Magdalenenbrücke mit dem schönen Pilgerkreuz zur Altstadt. Dies ist überwältigend, wir gehen durch das Portal de Francia und stehen sodann sofort mitten in den engen Gassen. Von der Zitadelle hat man einen herrlichen Rundblick in die umliegende Landschaft mit den steilen Bergen der Pyrenäen. Die Kathedrale ist leider geschlossen, es ist noch früh am Sonntagmorgen, und die Gassen sind menschenleer. Ein Blick auf das historische Rathaus, und schon bald finden wir die Ausfahrt aus Pamplona durch das Universitätsgelände.


Auf der Nationalstraße N 111 erleben wir erstmals richtig starken Verkehr. Gott sei Dank dürfen die Lkw heute nicht fahren, aber auch die zahlreichen Pkw beeinträchtigen unsere Fahrt auf dem Randstreifen. Wenn in der Woche noch Lkw – Verkehr hinzukommt, kann man diese Strecke nicht empfehlen. Es geht rauf und runter, mit dem Alto del Perdon immerhin auf 734 m Höhe. Bei ca. 31° ohne Schatten ergeben sich immer wieder wunderschöne Blicke in die offene Landschaft. In Puente de la Reina bewundern wir die berühmte Brücke über den Arga und in Estella fahren wir durch enge aber sehr schöne Shoppingstraßen zu einem wunderschönen Marktplatz. An diesem schönen Sonntag leisten wir uns alle ein leckeres Eis.


Wenige Kilometer hinter Estella finden wir den seitlich der N 111 gelegenen weltberühmten Weinbrunnen von Irache. Seit 1911 kann man sich hier kostenlos und unkontrolliert – man sagt, der Brunnen wäre videoüberwacht und ans Internet angeschlossen – bedienen. Wenn alle so Kunden sind wie wir – unter drei Männern haben wir uns einen Trinkbecher geteilt – ist diese kostenlose Abgabe für die Bodega kein Zusatzgeschäft, für den Rotwein der Provinz Navarra jedoch eine hervorragende Werbung. Mit einigen Schlückchen Rotwein vollenden wir unsere heutige Fahrt nach 86 km in Los Arcos.


Nach einem obligatorischen Bier und dem folgenden Frischmachen gehen wir noch in die schöne Altstadt. Sie ist umgeben von einer Stadtmauer, einem schönen Rathaus mit Marktplatz und einer sehr großen Kathedrale.


Hier findet abends eine Sonntagsmesse statt, und der Pfarrer erteilt den zahlreich anwesenden Pilgern im Anschluss an den Gottesdienst den Pilgersegen in verschiedenen Sprachen. Er verteilt dazu ein Pilgergebet, die deutsche Ausfertigung ist leider vergriffen und befindet sich im Neudruck. Danach erhalten wir den Stempel in unserem Pilgerbuch.


Dann sehen wir, wie auch in Pamplona, die an den Straßenecken zur Seite geklappten Absperrungen aus Holz oder Eisen, die dazu dienen, den Stieren und Läufern den Weg der Treibjagd zu weisen und die Zuschauer zu schützen. In den nächsten Orten werden wir dies noch öfter sehen.


Danach geht es in unser Hotel zum Essen. Es ist erstaunlich, daß es laut Speisekarte zu den drei Gängen incl. Tischwein auch kostenlos Musik und Aircondition gibt.



17. Etappe, Montag, 07.06.2004, Los Arcos – Belorado, 103 km


Wir bleiben weiter auf der Nationalstraße. Der starke Verkehr, heute auch mit den Lkw, bleibt zwar bestehen, wir gewöhnen uns aber sehr schnell daran. Der parallel verlaufende Camino, voll mit Fußpilgern und Mountainbikern, macht einen festgefahrenen Eindruck wie ein ungeteerter Feld- oder Radweg.

Für Rennräder ist der Camino aber auf keinen Fall geeignet. Wir bereuen unseren Grundsatzbeschluss, auf geteerten Wegen und Straßen zu bleiben, wirklich nicht!


In Torres del Rio schauen wir uns die Kirche Santo Sepulcro an, und über Viana geht die Fahrt nach Logrono weiter. Hier überqueren wir den Ebro, denn wohl bekanntesten Fluss Spaniens, schauen uns die mächtige Kathedrale und den wunderschönen Pilgerbrunnen an, und in der Nähe der Provinzialverwaltung essen wir bei einer unternehmungslustigen Bistrodame ein leckeres Schinkenbaguette mit einem Cafe con Leche.


Frisch gestärkt geht es wieder aus Logrono heraus. Entweder haben wir den Weg verpaßt oder unsere Beschreibung ist nicht o. k. Plötzlich stehen wir mit unseren Fahrrädern an der Autobahnauffahrt, ohne daß vorher andere Möglichkeiten angegeben waren. Nach einigem Suchen finden wir den Camino und wir entschließen uns, diesem für eine vorübergehende Zeit zu folgen. Landschaftlich sehr schön an einem See vorbei und durch viele Felder, sind wir aber froh, bald „unsere“ Nationalstraße 120 wieder unter den Reifen zu haben. Und nun stellen wir mit Erstaunen fest, daß keinerlei Straßenverkehr mehr vorhanden ist. Die parallel neu gebaute Autobahn hat den Durchgangsverkehr gänzlich aufgenommen, wir befinden uns auf einmal auf einem der „breitesten Radwege Europas“. In den kommenden Tagen wiederholt sich dieses Phänomen noch mehrmals.


Immer weiter über die N 120 an Navarrete, Najera und Santo Domingo vorbei braut sich um uns herum wie schon am Vortage wieder ein Gewitter zusammen. Wir sind standhaft trotz Blitz und Donner. Als wir in Redecilla in den Regen kommen, entschließen wir uns trotz der nur noch kurzen Strecke, die Regenschauer abzuwarten. Ein Rundgang durch die Kirche mit dem berühmten Taufbecken und das Abwarten der Regenschauer vor einer Pilgerherberge vermittelt uns Eindrücke und verschiedene Gespräche mit Fuß- wie auch Radpilgern. Auch hier erstaunt uns die große Vielfalt der Nationalitäten.


Es hört auf zu regnen und wir setzen unsere Fahrt fort. Philipp macht im nahe gelegenen Ort Belorado die nach Bayern oder Österreich klingende „Pension Toni“ ausfindig. Es ist ordentlich und sauber, im Zimmer von Michael und Rudolf stehen fünf Betten.


Im Ort gibt es verschiedene Möglichkeiten, zu essen. Die Zahl der Pilger steigert sich von Kilometer zu Kilometer, aber auch die Zahl der Fußkranken. Wir entscheiden uns für ein Pilgermenü für 8,-- € einschl. der Getränke; es ist ordentlich, ausreichend und lecker.



18. Etappe, Dienstag 08.06.2004, Belorado – Villanueva, 74 km


Nach dem gestrigen Gewitter ist es etwas abgekühlt, aber sehr angenehm. Im Laufe des Vormittags kommt die Sonne heraus, und es wird zum Mittag deutlich wärmer.


Wir fahren weiter über die N 120, die wieder recht einsam ist. Über den Puerto de La Pedraja (1.150 m) biegen wir dann in Santovenia rechts ab und fahren über gut geteerte Seitenstraßen nach Atapuerca zur N 1, die dann durch verschiedene langweilige Industriegebiete direkt nach Burgos führt. Rudolf erlaubt sich mit dem Mietwagen noch einen kurzen Abstecher zur Einsiedelei San Juan de Ortega mit einer schönen Kirche und dem darin befindlichen Mausoleum.


Die Großstadt Burgos empfängt uns lautstark, verkehrsreich, hektisch, mit vielen Menschenmassen, Geschäften, Andenkenläden usw.


Überwältigend ist der Anblick der im Jahre 1260 geweihten gotischen Kathedrale Santa Maria. Leider ist jetzt Siesta und somit keine Besichtigung möglich, aber das werden wir noch öfter feststellen. Wenigstens erhaschen wir an der Kasse zur Schatzkammer noch einen Pilgerstempel von dieser sehr ehrwürdigen Kathedrale. Wir schauen uns auf dem Marktplatz um, gehen durch einige enge Gassen und trinken auf einer Plantanenallee im Schatten unseren obligatorischen Cafe con Leche. Vorbei am Hospital del Rey (Hospiz des Königs) und den Hauptgebäuden der Universität verlassen wir Burgos auf einer sehr breiten Alleenstraße und gut ausgebautem Radweg in Richtung Villabilla de Burgos. Wegen der nahe gelegenen neuen Autobahn gibt es auch hier auf der N 120 kaum Verkehr, und sehr bald erreichen wir unseren heutigen Etappenort Villanueva de Argano.


Unsere heutige Unterkunft ist ein Hotel und Restaurant, das vor Inbetriebnahme der neuen Autobahn bis vor wenigen Jahren sicherlich bessere Zeiten erlebt hat. Eine menge Zimmer, nur sechs Gäste, eine große Gaststätte, einen Veranstaltungsraum und ein großer Speiseraum.


Der Wirt gibt sich im Umgang mit seinen Gästen so hochnäsig, als hätte er uns gar nicht nötig – als würden sich jeden Moment das Hotel und das Lokal füllen. Das Abendmenü ist nicht zu beanstanden, nachher nehmen wir in einer richtigen Dorfkneipe noch einen Schlummertrunk.



19. Etappe, Mittwoch, 09.06.2004, Villanueva – Carrion, 81 km


Unsere heutige Etappe verläuft größtenteils unmittelbar parallel zum Camino. Wir hoffen, daß wir etwas von dem Pilgerflair mitbekommen.


Bei bestem Wetter und einem überwiegend leichten Rückenwind starten wir frohgelaunt. Wir verlassen in Olmillos die N 120, und von da an geht es über sehr gut geteerte verkehrsarme Sträßchen durch wunderschöne Landschaften, leicht hügelig und sehr abwechslungsreich. Im späteren Verlauf des Tages begleiten uns kilometerlang Bewässerungsgräben und Berieselungsanlagen. Ein tolles System, wenn das nicht wäre, wäre diese Gegend sicherlich karg und öd.


Unseren ersten Zwischenstop erlauben wir uns in der Pilgerherberge in Hontanas. An einem Bild erkennen wir, dass der spanische König Juan Carlos hier auch schon eine Pause eingelegt hat. Es ist eine sehr urige Behausung, Pilger aus vielen Ländern kommen und gehen. Weiter führt unser Weg zur Klosterruine Convento St. Anton mit einfachster Pilgerherberge. Die Ortschaften sind sehr unterschiedlich strukturiert, einige sind wunderschön gepflegt, andere Orte sind fast unbewohnt und die meisten Häuser leer und teilweise verfallen.


Immer parallel zum Camino setzen wir unsere Fahrt fort und werden in Boadilla von einer traumhaft schönen Pilgerherberge überrascht. Eine wunderschöne Gartenanlage, sogar ein Schwimmbad, freundliche Gastgeber, diese Pause ist ein Genuß. Vom nahen Kirchturm hören wir das Klappern der Störche, wir zählen bis zu acht Störche, die in der Luft ihre Runden drehen. Die Störche werden uns in den nächsten Tagen noch öfters begleiten. Kaum ein Kirchturm oder Kamin, wo nicht ein Storchennest zu finden ist.


In Carrion de los Condes ist Michael mit den Übernachtungsmöglichkeiten fündig geworden. Heute ist mit 81 km und der sehr ansprechenden Strecke ein relativ ruhiger Tag. Wir genießen die Ankunft bei einem leckeren Glas Bier bzw. einem Gläschen Weißwein, nach dem Frischmachen sehen wir uns das kleine Städtchen an.


Im Hostal Leon soll es nach Insidertipp das beste Pilgermenü im Ort geben. Wir Nichts wie hin, und wir werden nicht enttäuscht. Für 8,-- € ein Drei-Gang-Menue einschließlich Wein, da kann und darf man nicht meckern.



20. Etappe, Donnerstag, 10.06.2004, Carrion – Leon, 105 km


Im Hotel gibt es keine Frühstücksmöglichkeit. Wir beschließen, Carrion zu verlassen um in einem der nächsten Orte etwas zu essen zu kaufen. Wegen des Fronleichnamsfeiertages ist dies nicht ganz einfach und wir haben Glück, in einem Ort einen Bäckerlieferanten zu treffen und ihm ein Baguette abzukaufen.


Über die autofreie N 120 nach Sahagun. Hier besichtigen wir eine zum Konzertsaal umgebaute ehemalige Kirche, davor steht eine aus Stahl gegossene lebensgroße Jakobusfigur. In der Stadt werden die ersten Vorbereitungen für die am kommenden Wochenende stattfindende Stierfiesta getroffen.


In Calzada verlassen wir die N 120, um eine kleine Straße Richtung El Burgo Raneros zu benutzen. Durch die Neubauarbeiten bezüglich der Autobahn verpassen wir diese Straße und den Camino und sind gezwungen, eine andere Variante einzuschlagen. Jetzt haben wir zum erstenmal für mehrere Kilometer keine geteerte Oberfläche sondern einen festgefahrenen Feldweg mit teilweise lockerem Sand- und Kiesbelag. Ab Estacion gibt es wieder eine kleine Teerstraße, und wir erreichen parallel mit dem Camino sehr bald Mansilla. Wir bedauern die vielen Fußpilger, die ohne jeglichen Schatten doch ganz schön von der Sonne gequält werden. Die am Camino zwischenzeitlich gepflanzten Bäume sind noch sehr klein und spenden kaum Schatten.


Dann kommen wir wieder auf die N 120. Die ist jetzt im Hinblick auf die Nähe zu Leon doch erheblich belebter.


Gegen 15:00 Uhr erreichen wir Leon. Wir treffen Helmut vor der Kathedrale und er geht mit uns den kurzen Weg zu einem toll gelegenen Hotel in der Stadtmitte.


Nachdem wir uns erfrischt haben, brechen wir auf zur Stadtbesichtigung. Die Kathedrale von Leon ist imponierend. Innen fallen insbesondere die tollen Glasfenster, die verschiedenen Altäre sowie Kapellen ins Auge.


Draußen hat auf jedem Turm und Türmchen ein Storch sein Nest gebaut, und alle Nester sind belegt. Wir besichtigen die Basilika San Isidoro.


An manch ehrwürdigem Gebäude vorbei schlendern wir durch die schmalen Gassen der Altstadt. In einem Straßencafe lassen wir uns nieder und bearbeiten die morgige Strecke.


Wir genießen dann im Hotel ein schönes dreiggängiges Menue mit Getränken. Nach einem anschließenden kurzen Rundgang um die Kathedrale versuchen wir noch einen Absacker zu bekommen. Da man uns in dem nachmittäglichen Straßencafe keinen Osborne bzw. Veterano wie auch keinen Anisschnaps innerhalb von 20 Minuten kredenzen kann, sind wir einfach aufgestanden und haben das Lokal verlassen. Im Hotel sind wir dann schneller fündig geworden.



21. Etappe, Freitag 11.06.2004, Leon – Riego de Ambros , 91 km


Nachdem uns ein freundlicher junger Mann den besten Weg aus Leon heraus gezeigt hat, finden wir die N 120 wieder. Zunächst ist sie sehr belebt, mit der Autobahnauffahrt lässt der laufende Verkehr aber schlagartig nach. Bis auf einige Hügel ist die gesamte Strecke relativ flach, und das Wetter zeigt sich wiederum von der besten Seite. Der Camino verläuft immer mehr parallel zur Straße, und es macht uns allen große Freude, den obligatorischen Gruß „Bon Camino“ auszusprechen.


Das Städtchen Astorga ist sehr belebt. Es hat einen sehr schönen Vorplatz vor der Kathedrale. Wir besichtigen dieses sehr schöne gotische Bauwerk mit einem wunderschönen Hauptaltar. Kurz neben der Kirche befindet sich der Bischofspalast Palacio Episcopal, der vom berühmten Architekten Gaudí erbaut wurde und jetzt ein Museum beherbergt.


Hinter Astorga verlassen wir die N 120 und benutzen eine kleine geteerte Nebenstraße, an der parallel wieder der Camino verläuft. Wir biegen von der Teerstraße kurz ab und erreichen den Ort Castrillo de los Polvazares. Wir sind in einer anderen Welt, fast wie in einem Freilichtmuseum. Ein uralter kleiner Ort, ausschließlich nur Steinbauten aus rötlichen Natursteinen, aus dem gleichen Material auch die holprige Straße, einige schöne Innenhöfe mit Blumen. Anscheinend eine Touristenattraktion, denn wir sehen zwei Reisegruppen, die mit Führung den Ort besichtigen.

Hinter dem Ort geraten wir wieder auf den Camino mit seiner Kieselsteinoberfläche. Helmut schont sein Rennrad und schiebt. Nach einigen hundert Metern Anstieg finden wir unsere kleine Teerstraße wieder.


Die sehr wellige Strecke ist nicht ganz einfach, aber die urige Pilgerrefugie in El Ganso ist ein Highlight, daß man sich nicht dadurch gehen lassen sollte. Bald erreichen wir Rabanal, und dann geht es so richtig in das Galizische Gebirge. Die Anfahrt zum höchsten Punkt des gesamten Camino, dem Cruz de Ferro – dem eisernen Kreuz mit 1.504 m -, ist in der Mittagssonne eine echte Herausforderung an unsere Leistungsstärke. Wie abgesprochen, fährt jeder sein Tempo, und so bewältigen wir diesen Anstieg sehr souverän. Wir genießen die Stille dieses Ortes, die herrlichen Ausblicke in die Bergwelt und bewundern die am Kreuz niedergelegten, meistens von zu hause mitgebrachten Steine. Wie viele Wünsche, Sorgen, Hoffnungen, Nöte usw. wohl mit diesen Steinen verbunden sind?


Dann folgt eine Abfahrt, an die wir noch lange zurückdenken werden. Sicher geht es zwischendurch hier und da noch einmal hoch, aber ungebremst kann man die Abfahrt nicht bewältigen. Tolle Ausblicke in die Bergwelt, tolle Serpentinen, hoffentlich halten die Bremsen und die Felgen das durch.


Wenige Kilometer hinter dem Kreuz kehren wir in eine der wohl urigsten Herbergen des gesamten Caminos in Manjarin ein. Sie wird vom Templerorden betrieben, und man fühlt sich in ein anderes Jahrhundert versetzt.






Mit einem deutschen Ehepaar unterhalten wir uns; sie sind glücklich und stolz, daß die äußerst einfache Herberge zumindest über einen Brunnen mit angeschlossener Dusche sowie über einen separat ausgehobenen Donnerbalken verfügt. Wir denke, wir haben mit unserer Entscheidung, angemessene Unterkünfte zu suchen, richtig gelegen. Für die kostenlos gewährte Bewirtung bedanken wir uns mit einer kleinen Spende.


Bald brechen wir auf, weiter geht es bergab, und es ist nicht mehr weit bis zu unserer Pension. Bei diesem wunderschönen Wetter setzen wir uns gemütlich in den Garten unter einen Kastanienbaum, genießen bei einem kühlen Bier den schönen Ausblick den schönen Ausblick in die Bergwelt und bereiten uns schon auf unseren morgigen Tag vor.


Das Abendessen für 8,-- € mit drei Gängen und dem üblichen Wein nehmen wir in der einzigen Gaststätte des Ortes ein. Den Schlummertrunk, oder sind es sogar zwei, nehmen wir auf der Terrasse zu uns. Später erzählen die Gastleute, daß sie als Gastarbeiter unweit der deutschen Grenze in Belgien gelebt haben.


22. Etappe, Samstag 12.06.2004, Riego de Ambros – O Cebreiro, 71 km


Wir bleiben weiter in den galizischen Bergen, heute verlangen die Bergwelt und der ausgesuchte Etappenort wieder eine herausragende Leistung von uns. Zunächst setzt sich die großartige Abfahrt von gestern fort, und bei Rudolf fangen die Bremsklötze an zu quietschen. Dies ist ein untrügliches Zeichen nachlassender Bremskraft, er verringert die Geschwindigkeit und in Ponferrada finden wir ein Fahrradgeschäft, dessen freundlicher Mitarbeiter Rudolfs Rad für 10,00 € innerhalb weniger Minuten mit vier neuen Bremsklötzen ausstattet.


Nun fahren wir über eine flache Strecke bis Villafranca und machen dort noch einmal eine ausgiebige Pause, um uns für die vor uns liegenden Berge zu stärken. Zunächst geht es über die verkehrsfreie alte Nationalstrasse, zwischenzeitlich zwängen sich eine neue Nationalstrasse sowie eine Autobahn fast parallel durch die Bergwelt über Brücken und durch Tunnel, flach in die Bergwelt hinein. Aber auf einmal, ab Herrerias ist es mit der Herrlichkeit zu Ende. Über etwa 14 km ständig bergauf, kein Ende in Sicht, Kurve um Kurve, mehr als 700 Höhenmeter. Aber wir schaffen das eigentlich besser als erwartet. So drei Wochen Training vor einer solchen Bergetappe bringt schon manches Positive.


In Pedrafita ist die Beschilderung so irreführend, das wir der Meinung sind, den Pass schon bezwungen zu haben. Aber Pustekuchen, es geht noch einmal quälende rund 4 km Berg auf, erst dann erreichen wir unser Ziel Monte Cebreiro in 1.300 m Höhe.


Aber dieses Bergdorf überrascht uns alle, sowohl von der äußerlichen Einfachheit her als auch von dem zweckmäßigen und modernen Inneren der Häuser und Restaurants. Ein sehr einfaches und schlichtes Gotteshaus, in dem wir eine Sonntagsmesse mitmachen. Die gegenüberliegenden Pilgerherbergen sind im Grunde das Ortszentrum. Aber zwischenzeitlich werden noch viele Privathäuser und auch die Restaurants den heutigen Bedürfnissen eines modernen Pilgers angepaßt. Wieder ist es Michael, der bei der Unterkunftssuche ein goldenes Näschen hat und eine in einem alten Haus befindliche Pension ausfindig macht.


Wir schaffen es gerade noch bei gutem Wetter, zu dem oberhalb des Dorfes liegenden Holzkreuz hinaufzusteigen. Dieses Kreuz ist vergleichbar mit dem römischen Trevibrunnen. Bei ihm wirft man die Münze in das Wasser, hier schlägt man eine Münze in das Holzkreuz, was bedeuten soll, daß man irgendwann wieder einmal zurückkommen wird.

Dann verschlechtert sich das Wetter innerhalb weniger Minuten, auf einmal kommt starker Wind mit Nebel auf, verbunden mit einem ganz erheblichen Temperaturrückgang. Das ändert sich auch den ganzen Abend nicht.


Die anstrengende Tagesetappe beschließen wir wieder mit einem mit 7,-- € preiswerten Pilgermenü.



23. Etappe, Sonntag 13.06.2004, O Cebereiro – Palas de Rei, 102 km


Nach einem ausreichenden Frühstück im Restaurant, in dem wir am Abend vorher unser Pilgermenü eingenommen haben, setzen wir unsere Pilgerfahrt bei kaltem Wetter und nebelverhangenen Tälern fort. Es geht sehr, sehr hügelig weiter bei starkem Gegenwind. Nicht nur der Alto San Roque mit der großen bronzenen Pilgerstatue fordert unsere ganze Kraft, der danach folgende Alto del Pojo ist mit seinen 1.337 m noch eine weitere echte Herausforderung. Das Wetter bessert sich von Minute zu Minute, wir werden wieder von der Sonne verwöhnt. In Tricastela biegen wir links in Richtung Samos ab, eine sehr beeindruckende alte Klosteranlage, die wir uns mit großem Respekt anschauen. Weiter geht es über Sarria die C 535 entlang durch sehr hügeliges Gelände mit einem langen Anstieg aus Sarria heraus und einer steilen Abfahrt zum Belesar – Stausee bis Portomarin.


In Portomarin entdeckt unser heutiger PKW-Fahrer Rudolf eine für die Fronleichnamsprozession mit Blumenteppichen zauberhaft hergerichtete Straße.


Vielleicht der letzte große Anstieg, denn wir sind ja nur noch ca. 100 km von unserem Ziel entfernt. Aus dem Talkessel von Portomarin heraus müssen wir wieder alle unsere Kräfte sammeln und den recht langen und steilen Anstieg bewältigen. Der Camino verläuft wieder parallel zur Straße, und nun kann man eindeutig die Nähe zum Pilgerziel von uns allen daran erkennen, daß sich die Zahl der Fußpilger an einigen Stellen zu einer wahren Prozession in Richtung Santiago anhäuft.


Wir bewältigen die lange Etappe 102 km ohne Beschwerden. So gegen 17:15 Uhr, erreichen wir Palas de Rei, leider ist nirgendwo eine frühere Übernachtungsmöglichkeit zu erhalten.


Im gesamten Ort, der ganz im Zeichen von erwartungsvollen Pilgern steht, ist eine besondere Atmosphäre zu spüren. Jeder freut sich auf das bevorstehende Ziel, wunde und mit Blasen geschädigte Füße werden intensiv fürs Finale zurechtgepflegt, großes Hallo mit Pilgern, deren Wege sich in den vergangenen Wochen vielleicht schon des öfteren gekreuzt haben.


Wir lassen es uns gut gehen und mit dem üblichen Pilgermenü beschließen wir den Tag. Anschließend freuen wir uns auf unsere morgige, nur noch ca. 70 km lange letzte Etappe und legen die notwendigen Einzelheiten fest. Wir werden uns vor Santiago mit dem PKW – Fahrer treffen, dann gemeinsam in die Stadt hineinfahren und später das Auto holen.



24. Etappe, Montag 14.06.2004, Palas de Rei – Santiago d. C., 72 km


Frohgelaunt und bis in die Haarspitzen motiviert schwingen wir uns auf die Räder. Durch eine sehr abwechslungsreiche Landschaft mit Wäldern, dann wieder Weideland und Äcker, nähern wir uns durch hügeliges Gelände allmählich unserem Ziel. Unterwegs besichtigen wir die für ihre Ausmalung bekannte Kirche in Arzua.


Nach der üblichen morgendlichen Rast mit einem Cafe con Leche geht’s über die
C 547 weiter in Richtung Santiago. Rechts bzw. links von der Straße der mit Pilgern bevölkerte Camino, unser Denken ist nunmehr ausschließlich auf das Ziel Santiago de Compostela mit dem Grab des Hl. Jakobusses ausgerichtet.


Am Treffpunkt in San Marcos wartet schon ungeduldig unser Pkw – Fahrer Helmut. Wir setzen unsere Fahrt fort und machen am Monto del Gozo in der dort befindlichen Pilgerbodega unsere letzte Pause. Wir sehen das riesige metallene Monument auf dem Aussichtshügel, das anlässlich eines Besuches von Papst Paul II. Anfang der Neunziger Jahre dort aufgestellt wurde. In früheren Jahren soll es von hier aus einen wunderschönen Blick über die Stadt Santiago gegeben haben, große Neubauviertel sowie insbesondere der zwischenzeitlich in die Höhe gewachsene Wald lassen die Stadt leider nur noch erahnen.


Nun geht es bergab parallel zu einer Stadtautobahn Richtung Zentrum. Die Kennzeichnung des Pilgerweges hört auf einmal auf, große Straßenbauarbeiten stellen sich den Pilgern in den Weg, es wirkt alles andere als einladend. Bisher ist in den Großstädten wie Pamplona, Burgos oder Leon der Camino bis und von der Kathedrale weg bestens gekennzeichnet, in Santiago suchen wir leider vergebens. Wir erreichen den Platz vor der Kathedrale problemlos, wir hätten aber viel lieber auf dem originalen Pilgerweg mit Durchschreiten bzw. Durchfahren des Porta de Caminos die Plaza del Obradoiro erreichen wollen.


Auf der einen Seite sind wir stolz und glücklich über das Erreichen des Zieles, auf der anderen Seite aber auch etwas enttäuscht über die nicht geglückte Einfahrt zu unserem Pilgerziel.

Wir freuen uns und klopfen uns gegenseitig auf die Schultern, wir sind glücklich und zufrieden und auch ein klein wenig stolz, weil unsere Tour ohne Unfall, große Panne und Krankheit sehr erfolgreich verlaufen ist. Dieser Moment bewegt uns alle.
2.256 km haben wir in insgesamt 24 Etappen zurückgelegt.


Und dann erschallt von der Treppe der Kathedrale her eine Stimme mit den Worten „Wat dönt da die Öcher hej ?“ Es ist Karl Wendt mit seinen drei Damen, mit dem wir in den letzten Tagen des Öfteren in SMS – Kontakt gestanden haben.

Sie kommen gerade aus der Pilgermesse. Die Begrüßung ist herzlich, die eben noch vorhandene Enttäuschung etwas abgemildert. Karl hat uns ein Hotel besorgt, erklärt uns den Weg dorthin, und wir verabreden, heute Abend gemeinsam zu essen und diesen ereignisreichen und denkwürdigen Tag dann bei einem Bier und einem Glas Wein ausklingen zu lassen. Die Damen geben uns den Tipp, jetzt noch das Pilgerbüro aufzusuchen. Gesagt, getan, ohne großes anstellen und warten erhalten wir die bei allen Pilgern begehrte Urkunde sowie den letzten Stempel in unserem Pilgerausweis. Eine lang geplante Pilgerreise hat ihren krönenden Abschluss gefunden.


Wir finden das Hotel „La Salle“ und erhalten sehr schöne Zimmer. Helmut und Rudolf schwingen sich nochmals auf das Fahrrad und fahren die ca. 10 km nach San Marco, wo sie den Mietwagen mit unserem Gepäck abholen.


Nach dem obligatorischen Frischmachen begeben wir uns auf den ca. zehnminütigen Weg in die Innerstadt. Wir schließen uns dem riesigen Pilger- und Touristenstrom an und besichtigen die eindrucksvolle Kathedrale.


Vor der Heiligen Pforte steht eine lange Warteschlange, wir verschieben das Durchschreiten auf den morgigen Tag. Wir genießen die Umgebung der Kathedrale, das historische Gebäude des Hostal de los Reyes Catolicos, das Rathaus, das Hauptgebäude der Universität, den Erzbischöflichen Palast. Dieser Plaza del Obradoiro zählt sicherlich mit zu den wohl beeindruckendsten Plätzen in der Welt. Ein anschließender Bummel durch die angrenzenden urigen Gassen und Sträßchen zeigt eine ganz besondere Atmosphäre. Es herrscht ein unbeschreibliches Treiben, Scharen von Pilgern wie auch Touristen bevölkern die Restaurants, Bars, die Geschäfte und insbesondere die Andenkengeschäfte.


Am Abend treffen wir Karl mit seinen Damen wieder und gehen gemeinsam zu Manolo, der für sein gutes und preiswertes Pilgermenü in Santiago bekannt ist. Wir sind Punkt acht Uhr da und bekommen einem schönen Tisch, 10 Minuten später hätten wir nichts mehr bekommen. Das Essen ist ordentlich, gut und preiswert, der Wein ebenfalls. Wir tauschen unsere Erfahrungen gegenseitig aus, sehen im Restaurant hier und da Pilger, die wir unterwegs schon einmal gesehen haben.


Gemeinsam unterbrechen wir unseren Rückweg und leisten uns in einer sehr gemütlichen Bar noch einige Absacker. Der in Spanien in den Bodegas übliche Fernseher macht es möglich, mit einem halben Auge das erste Spiel der deutschen Mannschaft zum Auftakt der Europameisterschaft in Portugal zu verfolgen. Die Deutschen sollen einen ganz guten Fußball gespielt haben, die Niederländer erzielen den Ausgleich zum 1:1 erst kurz vor Schluss.


Dann geht ein ereignisreicher und über viele Wochen und Monate herbeigesehnter Tag zu Ende. Da wir in unserem Hotel nicht frühstücken können, verabreden wir uns für 09:00 Uhr zum gemeinsamen Frühstück.



Dienstag 15.06.2004, Santiago de Compostela


Michael und Rudolf nutzen den frühen Morgen und begeben sich gegen 07:30 Uhr zur Kathedrale. Wir beide haben nach dem Rummel des gestrigen Tages den Wunsch, ohne Hektik und in Ruhe durch die Kathedrale gehen zu können. Wir treffen durch Zufall eine von Karls Damen. Sie macht mit uns einen fachlich hervorragenden Rundgang, den wir mit dem Durchschreiten der Heiligen Pforte
– diese ist nur in den Jahren geöffnet, in denen der Namenstag des Hl. Jakobus auf einen Sonntag fällt – beginnen. Sodann erreichen wir die Goldene Jakobusbüste auf dem Hauptaltar, die traditionell umarmt und auch geküßt wird. Dann gehen wir in die Krypta mit den Reliquien des H. Jakobus. Abschließend legen wir, wie es Heerscharen von Pilgern bereits vor uns getan haben, nach Umrundung der gotischen Jakobusstatue am Eingang zur Kathedrale die rechte Hand in den in Marmor gemeißelten Stammbaum Jesu. Noch einige Minuten des Gebetes und der Stille, dann sind die hektischen Erlebnisse des vergangenen Tages vergessen.

Auf dem Weg zum Frühstück treffen wir ein Ehepaar mit ihren Fahrrädern, dem wir bereits unterwegs mehrmals begegnet sind. Wir beglückwünschen uns zum Erreichen des Zieles und da sie noch kein Quartier haben, klären wir im Verlauf des Vormittages, daß sie in unserem Hotel Unterkunft erhalten. Die Freude ist groß und wir sehen uns kurz bei der Pilgermesse wieder.


Nach dem sehr ordentlichen gemeinsamen Frühstück schauen wir uns noch etwas um, aber gegen 11:00 Uhr nehmen wir schon unsere Sitz- oder Stehplätze in der Kathedrale für die um 12:00 Uhr beginnende Pilgermesse ein. Das Gedränge ist groß, ca. 20 Priester ziehen ein, und es werden die im Pilgerbüro registrierten Gruppen begrüßt, u. a. „un bike- gruppo de aleman“. Wir waren dem Rat unseres „Pilgervaters“ Karl gefolgt, einen Platz im Seitenschiff zu suchen, da man von dort aus den besten Blick auf das Schwenken des Botafumeiro hat. Dieses Weihrauchfass ist das größte der Welt – 54 kg schwer und hängt an einem 21 m langen Seil mit einer Weglänge von 65 m. Es wird vor den Schlusssegen der Pilgermesse über einen Seilmechanismus, der von sieben Männern in Gang gesetzt wird, durch das gesamte Querschiff geschwenkt. Eine sehr beeindruckende Szene, ein würdiger Abschluss der Pilgermesse.

Nach der Messe folgen wir der Empfehlung, in der Tapas – Bar eine Kleinigkeit zu uns zu nehmen. Wir finden diese Bar auf Anhieb und sind sehr angetan von den angebotenen kleinen Häppchen. Wir tun uns etwas Gutes und anschließend zerstreuen wir uns in der Altstadt und jeder versucht, noch ein Andenken oder ein Geschenk für die zu Hause Gebliebenen zu erstehen.


Um 17:30 Uhr treffen wir uns in unserer „Stammecke“ wieder und besprechen unsere Rückfahrt. Wir stimmen sofort dahingehend überein, am nächsten Tag die Heimreise anzutreten. Auch wenn man noch Tage gebrauchen könnte, die in Santiago vorhandenen Sehenswürdigkeiten kennen zu lernen, so stellen wir fest, daß wir unser Ziel erreicht haben und eigentlich jetzt auf schnellstem Wege nach Hause möchten. Nach der Ruhe, den tollen Landschaften und den sportlichen Anstrengungen der hinter uns liegenden gut drei Wochen sind wir der Meinung, genug erlebt, erfahren, gesehen zu haben. Jetzt sollte es schnellstmöglich nach Hause gehen.


Gesagt, getan. Unser Hotel ist mit einer Abreise am nächsten Tag einverstanden, wir montieren mit einigen Problemen – wir hatten bei zwei Fahrrädern die Seiten vertauscht – die Fahrräder auf unserem Dachträger, wir packen die Koffer. Ein Anruf bei unserem freundlichen Herbergswirt in La Rigeardie hat Erfolg, er verspricht uns die gleichen Zimmer wie auf unserer Hinfahrt. Das wird sicherlich ein schönes Wiedersehen werden. Daneben schreiben wir noch eine Ansichtskarte an unsere freundlichen Herbergseltern in Loye s. Arnon. Diese werden die Karte sicherlich sehr sorgfältig aufbewahren.


Uns zieht es zum Abendessen nochmals zu Manolo, und wir erhalten auch jetzt wieder ein preiswertes und ausreichendes Pilgermenü. Danach treffen wir noch Karl mit seinen Damen und wir feiern mit einigen Absackern unsere Abreise am kommenden Morgen. Auch Karl und seine Begleiterinnen werden in den Mittagsstunden des morgigen Tages Santiago in Richtung Madrid mittels Zug und übermorgen von Madrid mittels Flug nach Düsseldorf verlassen. Wenn alles gut und planmäßig verläuft, können wir fast parallel in Aachen eintreffen. Wir wünschen uns gegenseitig eine gute Rückreise und ein vielleicht gesundes Wiedersehen in Aachen.



Mittwoch 16.06.2004, Santiago d. C. – La Rigeardie


Gewappnet mit einer neuen Straßenkarte mit den neuesten Autobahnen in Spanien geht es um 7:00 Uhr los. Wir kommen gut aus Santiago heraus und fahren zunächst über unsere Radstrecke N 547 bis Lugo.

Dann benutzen wir größtenteils die Autobahnen über Ponferrada, Leon und Burgos. Unterwegs haben wir immer wieder Einblicke auf den Camino, viele Ortsnamen auf den Autobahnab- bzw. –Auffahrten sind uns bestens vertraut. Hinter Burgos wechseln wir unsere Fahrtrichtung und steuern nunmehr die Atlantikküste Richtung Bilbao, San Sebastian und sodann mit Biarritz die französische Küste an. Dann geht es über die E 70 weiter, auf dem Autobahnring um Bordeaux herum bleiben wir auf der E 70 und verlassen diese bei der Ausfahrt Mussidan. Über die uns bekannte Straße Mussidan und Riberac erreichen wir nach ca. 1.100 km mit erheblicher Verspätung unsere Pension in La Rigeardie. Trotzdem werden wir herzlich aufgenommen und nach kurzer Verschnaufpause beginnt auch schon unser gemeinsames Abendessen. Der Wirt hat es wieder hervorragend verstanden, eine internationale Gästeschar zum Essen zusammenzubringen. Ein französisches wie auch ein englisches Ehepaar, ein Ehepaar mit schweizer- und amerikanischer Staatsbürgerschaft und wir mit unseren internationalen Wohnorten sind fast eine EU-Versammlung. Wieder verstehen wir uns bestens, die Hände und Füße überbrücken jede Sprachschwierigkeit.


Wir fallen anschließend todmüde ins Bett



Donnerstag 07.06.2004, La Rigeardie – Aachen


Nach einem wiederum ausgezeichneten Frühstück setzen wir uns bei wunderschönem Wetter gegen 09:00 Uhr in Bewegung. Zurück durch den wunderschönen Ort Brantome mit der Rue Charlemagne geht es wieder Richtung Autobahn in der Nähe von Limoges. Über Orleans erreichen wir den Autobahnring um Paris und verlassen diesen über die E 50 in Richtung Reims. Auch hier kreuzen wir hin und wieder unsere Fahrradroute durch Frankreich. Da wir noch die preisgünstige Tankmöglichkeit für Diesel in Luxemburg ausnutzen wollen, schlagen wir diese Richtung konsequent ein. Der Tank ist fast leer, leider wird die Autobahn Richtung Lüttich renoviert, so daß wir nur mit angezogener Bremse der Heimat näher kommen können.


Aber wir schaffen es und so gegen 20:00 Uhr erreichen wir Eynatten, den Ort, an dem wir vor genau vier Wochen gestartet sind. Franziska begrüßt ihren Michael, wir laden aus und schon geht es ab nach Aachen zu Philipp und zu Marianne, dort wird auch Helmut aussteigen und von seiner Jenny abgeholt werden. Der Aufenthalt bei Philipp ist fast wie ein Boxenstop bei der Formel 1. Rudolf kann es gar nicht erwarten, nach Hause zu kommen und seine Margret wie aber insbesondere Enkel Steffen in die Arme zu schließen.


Auch die heutige Fahrt über fast 1.000 km hat uns immer wieder vor Augen geführt, welche gewaltige Strecke wir in den vergangenen Wochen zurückgelegt haben.